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Interviews
Interview mit Steven Wilson - Metal Hammer (05/2007):


Metal Hammer (05/2007)

Metal Hammer (05/2007)

Interview Metal Hammer (05/2007)
Ankunft im 21. Jahrhundert

FEAR OF A BLANK PLANET – ein depressiver, negativer, beängstigender Titel. Beängstigend ist auch die qualitative Konstanz von PORCUPINE TREE, die ihr aktuelles Meisterwerk mit Seele, Intelligenz, Intensität, Reife, Finesse und Ausdruckskraft voll gestopft haben. METAL HAMMER sprach mit der Ausnahmetruppe.

Porcupine Tree können mit jedem neuen Album beeindruckende Akzente setzen. Nicht umsonst werden die Engländer von ihren Fans vergöttert und von Musikerkollegen geliebt. FEAR OF A BLANK PLANET ist ein tiefgründiges Konzeptalbum mit lediglich sechs Songs und aktuellen Themen, die jeden ansprechen. Zudem ist das Album nach gängigem Verständnis unkommerzieller als die Vorgänger STUPID DREAM (1999), LIGHTBULB SUN (2000), IN ABSENTIA (2002) oder DEADWING (2005). Es ist ein Gesamtkunstwerk, mit dem sich eine eigenständige Combo wie Porcupine Tree in Zeiten, in denen anspruchsvolle Musik abseits von gängigen Trends auf reges Interesse stößt, berechtigte Chancen auf den Durchbruch ausrechnen kann.
Die rebellische, fast schon trotzige Stimmung, ihr individuelles Ding ohne jegliche Einschränkung noch kompromissloser und noch konsequenter durchzuziehen, ist auf FEAR OF A BLANK PLANET über die gesamte Laufzeit greifbar. Dementsprechend locker und zufrieden gibt Gitarrist, Sänger, Produzent, Songschreiber und Texter Steven Wilson Auskunft.

Hi Steven, warum kommt ihr denn mit einem solch schweren Brocken um die Ecke, nachdem DEADWING ja eher leichter verdaulich war? Wie war die Herangehensweise an FEAR OF A BLANK PLANET?

DEADWING hätte insgesamt stärker ausfallen können, wenn nicht einige Songs wie eben "Shallow" oder "Lazarus" die Intensität gemildert hätten. Nicht, dass ein falscher Eindruck entsteht: Uns wurde nicht gesagt, dass wir radiofreundliche Songs schreiben sollen. Ich bin enorm beeinflusst von den Konzeptalben der Siebziger, die in dieser Pracht heutzutage nicht mehr auf den Markt kommen. Vielleicht haben die Fans nicht mehr die Muse, sich hinzusetzen, um sich mit der Kunst einer Gruppe ausgiebig auseinander zu setzen. Und warum ist das so? Weil junge Menschen in dieser Zeit in einer kalten Welt aufwachsen. Kinder wachsen wie selbstverständlich mit Playstations, iPods, Handys oder dem Internet auf – Dinge, die von der ursprünglichen Faszination des puren Lebens ablenken. Die wahnsinnige Informationsflut, die inflationäre Konfrontation mit Musik, Filmen, Pornografie oder Gewalt formt Kinder zu emotionslosen Persönlichkeiten. Sie sind kaum noch daran interessiert, was im Leben wirklich wichtig ist. Sie werden mit Infos zugeschissen, bevor sie Teenager sind. Es gibt kaum noch neue Entdeckungen oder Überraschungen, die Kinder in einem Alter von zehn Jahren machen können. Bis ich 15 war, hatte ich außer meiner Mutter keine andere Frau nackt gesehen. Das mag aus heutiger Sicht fast lächerlich klingen. Heute kann ein Achtjähriger im World Wide Web nicht nur nackte Tatsachen betrachten, sondern ganz leicht schmutzige Pornografie. Kids machen zu früh prägende Erlebnisse, die sie eigentlich noch nicht verarbeiten können: Das muss doch zu menschlicher Leere führen. Der Draht zur direkten Umgebung wird immer dünner. Der Bezug zu Eltern, Freunden oder kulturellen und humanen Werten verkümmert.

Diese ausführliche Erläuterung erklärt auch die Wahl des Plattentitels.

Richtig, aber es ist auch ein Wortspiel: Eine Abwandlung von FEAR OF A BLACK PLANET, einem Album von Public Enemy, welches sich mit der Sinnlosigkeit von Rassismus befasste. Das war damals ein aktuelles, erschreckendes Phänomen – 20 Jahre später müssen wir uns nun mit einem weiteren ernsthaften Thema beschäftigen.

Siehst du eine Chance, diese Entwicklung zu verhindern?

Kaum. Es ist ja nicht alles am Internet schlecht. Was würden wir denn ohne das Internet tun? Das ist eine vorzügliche Quelle, um sich Wissen einzuverleiben. Ich benutze es sehr oft. Roger Waters sagte auf seinem letzten Soloalbum von 1992: „The Human Race has amused itself to Death“ – beeinflusst von einem Buch von Neil Postman. Er übte Kritik an den Massenmedien und daran, dass sich die TV-Gesellschaft zu Tode amüsiert. Die Menschen werden mit Informationen überflutet, anstatt sie sich selbst beschaffen zu müssen. Dadurch wird das Leben zwar bequemer, aber auch uninspirierter und unmotivierter. Es ist ein Stillstand oder sogar ein Rückschritt. Trotz merklich ansteigender Toleranz stimmt es mich als Musiker nachdenklich, wie wenig die Fans sich mit Musik oder Cover-Artworks beschäftigen, wie unwichtig musikalische Abenteuer geworden sind. Viele zappen doch auf ihrem iPod nur noch vor und zurück.

Du bist jetzt 39. Möchtest du Kinder in die Welt setzen? Hast du große Angst vor der Verantwortung?

Ich wünsche mir sehr bald eigene Kinder und habe natürlich auch Bedenken. Eben dahingehend, dass man Kids zu Außenseitern erzieht, wenn man ihnen die Dinge nicht ermöglicht, die für andere Gleichaltrige selbstverständlich sind. Aber es ist, wie es ist: Wir sind im 21. Jahrhundert angekommen.

Ihr habt fünf der neuen Songs auf der Herbst-Tour vorgestellt. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Aktion?

Wir haben unsere DVD mit diesen Gigs beworben. Da wir für DEADWING schon zwei Mal getourt waren, wollten wir niemanden langweilen – auch uns selbst nicht. Wir befanden uns mitten in den Aufnahmen und sahen das als tolle Chance, die aktuellen Stücke zu testen. Üblicherweise tourt man, nachdem ein Album veröffentlicht ist. Aber dann lässt sich nichts mehr ändern. Die Experimente liefen auf der Bühne und nicht im Studio ab. Die Fans hatten einen Wahnsinnsspaß, und das Album ist dadurch besser geworden: Ein Lied wurde in die Tonne gekickt, acht Minuten Musik wurden ersetzt, wir veränderten einige Keyboard-Passagen oder integrierten hier und da interessante Drum-Fills.

Warum erscheint FEAR OF A BLANK PLANET bereits zwei Jahre nach DEADWING? Du hast in dieser Zeit Scheiben mit Blackfield, Bass Commmunion, No-Man produziert, STUPID DREAM remixt und an der DVD gewerkelt, warst in mehrere Projekte involviert und viel auf Tour.

Ich lebte sechs Monate in Israel, um am zweiten Blackfield-Album zu arbeiten. Das Leben in einem fremden Land mit neuer Umgebung und ungewohnter Kultur inspirierte mich ungemein. Das Songwriting sprudelte nur so aus mir heraus – eine wundersame Kreativität übermannte mich. Tagsüber war ich mit Aviv Geffen zusammen, nachts komponierte ich für Porcupine Tree und hielt alles auf dem Laptop fest. Und 2007 wird nicht ruhiger. 2008 plane ich, es etwas gemächlicher angehen zu lassen, vielleicht sogar eine Familie zu gründen.

Du musst dich doch total ausgepumpt fühlen bei diesem unglaublichen Stress.

Ein wenig. Was ich tue, bereitet zumeist ein solches Vergnügen, dass es sich nicht wie Arbeit anfühlt. Musik ist mein Leben. Könnte ich nicht davon leben, wäre ich dennoch aktiver Musiker. Das ist meine Passion. Es ist ein großes Privileg, seine Passion so intensiv ausüben zu können wie ich. Auch die sechs Monate in Israel waren wie Urlaub. Schöne Landschaften, nette Menschen, schönes Wetter, knackige Mädchen – irgendwie war es dort einfacher als in England, kreativ zu sein.

Alex Lifeson von Rush sowie Robert Fripp von King Crimson beehren FEAR OF A BLANK PLANET mit Gastauftritten. Wie war es, mit ihnen zu arbeiten? Besonders Fripp soll ja sehr launisch sein.

Ich hörte schon oft die Horror-Geschichten, wie er Journalisten oder Plattenfirmen-Leute behandelt. Aber gegenüber Musikern, die er respektiert, ist er sehr umgänglich. Robert diskutiert gerne und hat immer einen makaberen Scherz auf den Lippen. Alex ist einer der bodenständigsten Typen, die ich je treffen durfte. Einfach ein normaler, dufter Kerl.

Nach Sonne, Strand und Spaß klingt FEAR OF A BLANK PLANET jedoch nicht. Es ist euer bislang düsterstes Album.

Es ist unser eigensinnigstes Werk seit langer Zeit. Es kehrt meine natürliche Neigung nach außen, Songs ausufern und sie atmen zu lassen – ohne Rücksicht auf die Spielzeit. Immer mehr Fans scheinen es zu lieben, in Musik einzutauchen und auf Entdeckungsreise zu gehen. Bands wie Tool, Sigur Ros, Mars Volta, Godspeed You! Black Emperor oder Flaming Lips sind derzeit sehr angesagt.

Obwohl du ja wirklich alles bei Porcupine Tree machst und deine Mitmusiker sehr im Hintergrund stehen, gab es in eurer langjährigen Karriere lediglich einen Besetzungswechsel.

Jede große Band hat oder hatte ein Mitglied, welches die Richtung vorgab: Pete Townsend bei The Who, Roger Waters bei Pink Floyd, Paul McCartney bei den Beatles oder Robert Fripp bei King Crimson. Ohne diesen Kapitän wird es eine Gruppe extrem schwer haben, eine ureigene Identität zu finden. Ständige Kompromisse und unendliche Diskussionen funktionieren nicht. Klar sind Gavin, Colin und Richard ab und an angepisst über meine Entscheidungen: Sei es, welche Songs auf einem Album landen, die Auswahl des Cover-Artworks oder die der Titel. Ich habe Porcupine Tree vor 20 Jahren gegründet und war drei Jahre als Solo-Künstler unterwegs, bis die anderen dazu stießen. Zu dem Zeitpunkt waren die Ideologie und der Sound bereits in wesentlichen Teilen entwickelt und etabliert. Es sind überragende Musiker, die die Vision von Porcupine Tree verinnerlicht haben, und deshalb gebe ich ihnen großen Freiraum.

Detlef Dengler
Metal Hammer (05/2007)

Metal Hammer (05/2007)
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