CD-Kritiken zu "Deadwing":
Eclipsed Nr. 71 (04/2005):
"Menschen, an denen nichts auszusetzen ist, haben einen Fehler: Sie sind uninteressant", sagte einst die
ungarische Schauspielerin Zsa Zsa Gabor. Und die betagte Lebedame muss es schließlich wissen. Kann man diese
Einschätzung aber auch auf die Rockmusik übertragen? Wenn ja, ist dann das lang erwartete neue Porcupine Tree-Album
"Deadwing" die berühmte Ausnahme vor der Regel? Eines jedenfalls ist gewiss: "Deadwing" ist überaus
interessant, und es fällt schwer, Dinge zu finden, die die Band an ihm hätte besser machen können. Vielleicht kann man
diesbezüglich anführen, dass es seine Genialität beim ersten Hören noch nicht voll entfaltet. Vielleicht auch,
dass einige Schlagzeug-Passagen in "Arriving Somewhere But Not Here" etwas zu sehr straight forward sind. Oder
womöglich, dass "Shallow" in seinen gerade mal vier Minuten zu oft den Rhythmus wechselt. Das war es aber auch schon.
Porcupine Tree haben mit "Deadwing" einen einzigartigen, stets wieder erkennbaren Sound geschaffen und gleichzeitig so
viele verschiedene Elemente in ihre spezielle Form des Artrock integriert, dass es einem schlicht und ergreifend die Sprache
verschlägt. Es reicht von den wilden Independent- und Neopsych-Wucherungen im Titeltrack über die sanft gleitenden
Träumereien in "Lazarus" oder "Mellotron Scratch" sowie den Noise-Verzerrungen in "Halo" und dem hart
rockenden Passagen in "Shallow" bis hin zu dem hymnischen "Glass Arm Shattering" und den stets spannenden
Longtracks "The Start of Something Beautiful" und "Arriving Somewhere But Not Here". Zurück zu den eingangs
gestellten Fragen: Wenn man die erste hypothetisch bejaht, dann kann auch die Antwort auf die zweite nur "ja" lauten.
In dieser brillanten Form sind Porcupine Tree aus der aktuellen Musikszene nicht mehr wegzudenken.
Stimmen zur Platte:
"Das zentrale Stück ist "The Start Of Something Beautiful". Genau darauf habe ich beim Hören von
Porcupine Trees "Deadwing" die ganze Zeit gewartet..."
"Porcupine Tree stoßen ein neues Tor auf und dringen mit "Deadwing" tief in die Rockmoderne
vor: zeitloser Artrock im Schmelztiegel aktueller Stile. Es sind die unverwechselbaren Sounds, die atmosphärische
Dichte und das scheinbar unvereinbare Zusammentreffen von aggressiven Riffs und höchst zerbrechlichen Momenten, die die
Qualität dieses Albums ausmachen. Die Band ist damit nicht nur auf der Höhe der Zeit, sie eilt ihr sogar voraus.
Porcupine Tree hecheln keinen Trends hinterher, sie setzen sie."
"Mastermind Steven Wilson behält auch auf "Deadwing" Kurs bei: die Modernisierung des Progrocks
Floyd'scher Provenienz mit Mitteln des härteren New Artrocks. Dabei heraus kommt eine hochbrisante Mischung aus Hartbrettattacken
und melodischen Finessen. Spitzenleistung, auch wenn dabei ein klein wenig verträumtere, spacige Noten wie auch die
früheren trancig-chilligen Anklänge auf der Strecke bleiben."
"Ein Album, das mich auch nach mehreren Durchläufen ratlos zurücklässt. Ein Album, das polarisieren
wird. Weltklasse-Nummern, die mit zum Besten gehören, was das PT-Repertoire zu bieten hat - vereint mit substanzlosen
Totalausfällen. Genialität und Banalität im fröhlichen Miteinander. Und Wilsons Gitarre hat Barbieris
Keyboards wieder ein Stückchen mehr in Richtung Limbo gedrängt."
Progressive Newsletter Nr. 52 (6/2005):
War man bisher in der Historie von Porcupine Tree einiges an Stilwechseln und mehr oder weniger sachten musikalischen
Neuorientierungen gewohnt, so ist der aktuelle Longplayer "Deadwing" als eine Art Bestandsaufnahme des Vierers
um Mastermind Steven Wilson zu sehen. "Deadwing" baut sowohl auf die etwas härteren, düsteren Elemente
des sehr guten Vorgängers "In Absentia", setzt auf eingängige Melodien (z.B. bei dem als erste Single
ausgekoppelten "Lazarus"), die man so vor allem vom Sideprojekt Blackfield kennt, belebt aber ebenso wieder die
schwebenden, leicht psychedelischen Einflüsse aus den Anfangstagen der Band. Dennoch hat auch dieses Album seinen eigenen
Geist, seine eigene Atmosphäre, auch wenn sich "Deadwing" letztendlich in aller Konsequenz nicht immer in allen
Facetten als gelungene Melange der unterschiedlichen Einflüsse präsentiert.
Obwohl dieses Album einige Durchgänge benötigt und danach über weite Strecken zweifelsohne seine volle
Schönheit und Magie mit den typischen Porcupine Tree Zutaten aus Melodie, Atmosphäre und gesunder rockiger Härte
entfalten kann, so gibt es dieses mal einige Durchhänger zu verschmerzen und darf durchaus moderate Kritik
geäußert werden. Da stolpert der mit 10 Minuten etwas zu lang geratene Titelsong im Mittelteil durch stampfende,
seelenlose Rhythmen oder gerät die Melancholie im Anfangsteil von "Mellotron Scratch" eine Spur zu langatmig.
Als Totalausfall erweist sich zudem der Hauruck Rocker "Shallow". Die harten Riffs wirken austauschbar und wenig
originell, der Song kann sich nie aus seinem recht langweiligen 08/15 Schema befreien. Keine Ahnung, was mit diesem Song bewiesen
werden sollte.
Doch beim Großteil des Albums funktioniert wieder die Porcupine Tree Formel aus alt und neu. So lotet der treibende
Alternative Rocker "Halo" eine neue Form der Interpretationsmöglichkeiten der britischen Band aus, während
sich das knapp 12-minütige "Arriving Somewhere" mit seinen verschiedenen Stimmungen, prägenden Riffs und
geschickten Tempoänderungen als das beachtenswerte Kernstück des Albums entpuppt. Mit dem schwebenden "Glass Arm
Shattering" werden Erinnerungen an die floydige Phase vom 94er Album "The Sky Moves Sideways" geknüpft,
das verträumte "Lazarus" beweist einmal mehr, dass Steven Wilson ein feines Händchen für
gefangennehmende, sanfte Melodien hat, auch wenn dieser Titel im Dauereinsatz doch mit leichten Abnutzungserscheinungen zu
kämpfen hat. Als Gäste verfeinert weiterhin Adrian Belew mit zwei wunderbar schrägen, richtig crimsonesken
Gitarrensoli dieses Album, während Michael Åckerfeld von Opeth bei einigen Stücken wohlfein abgestimmten
Harmoniegesang beisteuert.
"Deadwing" ist somit keine weitere Umorientierung oder Neuausrichtung, sondern vielmehr als Zwischenalbum für
die nächste Phase von Porcupine Tree zu sehen. Dennoch: sicherlich keine schlechte Bestandsaufnahme, die im Gesamteindruck
durchaus zu gefallen weiß.
Empire Nr. 74 (1/2005):
PT sind eine Konsensband! Und unabhängig davon, ob es diesen Begriff gibt, oder nicht - je länger man sich
über das Wort Gedanken macht, desto mehr kommt man zu dem Schluss, dass PT es wie keine andere Band besetzen
könnte. Sie - oder wahlweise könnte man hier auch er, sprich Steven Wilson sagen, denn er dürfte es ja
doch zum größten Teil sein, der die Geschicke und die Musik der Band leitet und bestimmt - sind eine Prog-Band,
Psychedelic, Pop, Metal - und das sowohl mit tiefen Wurzeln in den 70ern als eine Ausrichtung mitten in der heutigen
Musikszene. Aber was erzähle ich Dir Leser? Wie die meisten Empire-Leser bist auch Du längst über eines ihrer
großartigen Alben gestolpert, bist bei ihnen hängen geblieben, weil es einfach keinen Grund gibt, diese Band nicht
zu mögen. (Das nenne ich eine Konsensband!) Und jetzt soll ich etwas über das neue Album sagen? Was erwartest Du?
Dieses Album ist die konsequente Weiterentwicklung von "In Absentia". Und auch wenn es keine zu großen
Veränderungen oder Neuerungen gibt, so gibt es natürlich keinen Grund von diesem Album weniger begeistert zu sein.
Muss ich mehr sagen? Nicht wirklich, oder? Kauft es, genießt es!
Rock Hard Nr. 215 (04/2005):
Der ganz große (und eigentlich längst überfällige) Durchbruch mit dem sehr kompakten "In Absentia"
hat aus unerfindlichen Gründen nicht stattgefunden. Anstatt nun erneut zu versuchen, mit eingängigen Gesangslinien und
straffen Songstrukturen das Tool-Publikum für sich zu gewinnen, geht PORCUPINE TREE-Visionär Steven Wilson ganz
bewusst einen Schritt zurück und wieder mehr in die Breite. "Deadwing" klingt zwar fast genauso hart und rifflastig
wie sein Vorgänger, gleichzeitig aber psychedelischer und elektronischer als alles, was die Briten seit "Signify"
veröffentlicht haben. Topmoderne Metal-Grooves prallen auf Trance-artige Traumreisen, perfekt ausgetüftelte
Soundscapes auf leicht angeschrägte Refrains. Und genau bei Letzteren liegt das einzige Problem an diesem Album.
Überhymnen wie 'Stranger By The Minute', 'Four Chords That Made A Million' oder 'The Sound Of Muzak' sucht man nämlich
vergeblich. Hat man sich damit jedoch erst mal abgefunden, entfalten das wütende Drive-Monster 'Shallow', die wunderschön
schwebenden 'Lazarus' und 'Arriving Somewhere But Not Here', die vertrackte Achterbahnfahrt 'Open Car' oder
die betörende Pink-Floyd-Verbeugung 'Glass Arm Shattering' eine ganz eigene, faszinierende Magie, die das Fehlen
eines roten Melodiefadens durch grandiose Dynamik, beeindruckende Klanglandschaften und innovative Akkordfolgen
fast vollständig kompensiert.
Metal Hammer April 2005:
Ein Album wie "In Absentia" (2003) zu übertreffen, ist schlicht unmöglich. Auch "Deadwing"
schafft das nicht. Das liegt nicht an der Produktion, das liegt nicht am mangelnden Können der Musiker, sondern schlicht daran,
das Steven Wilson und seine Mitstreiter sich entschieden haben, kantiger, vielschichtiger und auch ein wenig intellektueller zu
werden. "In Absentia"s Magie rührt vor allem daher, dass das Album wie aus einem Guss wirkt, alle Songs, ja, jedes
einzelne Element perfekt zum nächsten passt, alles ineinander fließt. Kurz: eine einlullende Platte, und zwar ihm
wolligsten Sinn des Wortes. "Deadwing" ist anders. Da ist Rock, ganz alter Rock, da ist herrlich opulenter Prog, da ist
eine popig-melancholische Piano-Ballade, da sind Jazz-Elemente, und da sind auch leicht noisige Anflüge. Alles perfekt
vorgetragen natürlich. Und doch fehlen diesmal die offensichtlichen Verknüpfungen, die es einem leicht machen
zuzuhören, sich zu freuen, zu schwelgen, nachzudenken. Das macht "Deadwing" schwerer verdaulich. Ob das Album
deswegen weniger gut ist als "In Absentia" oder vielleicht sogar besser, weil langfristig spannender, bleibt eine
Geschmacksfrage - die aber auf diesem Niveau ohnehin nur von marginaler Bedeutung ist.
Audio (04/2005):
Einst als ein Ein-Mann Projekt vor 18 Jahren gegründet, trägt der "Stachelschwein-Baum" von
Mastermind Steven Wilson spätestens seit dem Album-Vorgänger "In Absentia" auch Chart-Früchte. Auf
"Deadwing" schwingt sich das Quartett zu treibend-forschen Rocknummern mit Metal-Schimmer auf, verliert
sich in mollig-melancholischen Pianoballaden oder lässt psychedelische Strukturen aufblitzen, in denen
Elektronik-Sounds britzeln. Der Klang: ordentlich, aber mit wenig Punch.
Äußerst klug gemachter Psychedelic-Rock mit Verve.
WOM Magazin (04/2005):
Die Zeiten, als Prog-Rock-Bands noch so klingen mussten wie King Crimson, sind zum Glück vorbei. Gruppen wie Porcupine Tree
sei Dank. Und jene überreich mit Talent gesegnete Formation treibt jetzt behutsam, aber stetig die eigene Entwicklung
voran. Dabei gibt es auch Fehltritte wie den schmalzigen Track "Lazarus" zu beklagen, Epen wie "Arriving
Somewhere But Not Here" aber sind Idealfälle des Genres. Vertrackte Sound-Spielereien, die nie im faden Geplugger
der späten Pink Floyd stecken bleiben, dazu eine ungeheure Klangfülle. Musik für den ersten Flug zum Mars.
Oder auch weiter.